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Newsletter Dezember 2023

Auf dem 72. Internationalen Filmfestival Mannheim-Heidelberg wurde im November wieder der Rainer Werner Fassbinder Award für das beste Drehbuch vergeben. Die mit den Regisseuren Goran Stolevski und Denis Dercourt sowie der Schauspielerin Elisa Schlott besetzte Jury verlieh den mit 15.000 Euro dotierten, von der Fassbinder Foundation gestifteten Preis an den Autor Nick Pinkerton. Sein Drehbuch für die US-Satire THE SWEET EAST erzählt von einer Highschool-Schülerin, die während einer Klassenfahrt mit der Abgründigkeit und Zerrissenheit ihres Heimatlandes konfrontiert wird. Pinkerton, der vor allem als Filmkritiker und Kurator tätig ist, hat interessanterweise auch anlässlich einer Fassbinder-Retrospektive vor einigen Jahren einen schönen Text über den Namensgeber seines Preises geschrieben. Nachlesen kann man ihn hier: https://t.ly/DUkAn

Die Schauspielerin und Sängerin Cornelia Froboess hat am 28. Oktober ihren 80. Geburtstag gefeiert. Bekannt wurde sie bereits als Achtjährige mit dem populären Schlager „Pack die Badehose ein“. Als junge Frau genoss sie dann Popstar-Status, während sie mit deutschsprachigen Film- und Musikgrößen wie Peter Alexander oder Peter Kraus zusammenarbeitete. Später widmete sie sich als Ensemblemitglied an den Münchner Kammerspielen klassischeren Stoffen und war unter anderem in Inszenierungen von Dieter Dorn, Thomas Langhoff und August Everding zu sehen.

In Fassbinders DIE SEHNSUCHT DER VERONIKA VOSS (1982) verkörperte sie Henriette, die Nebenbuhlerin der Titelheldin. In einem älteren Interview mit der Zeitung Die Welt deutete Froboess an, dass weitere Projekte mit RWF durchaus möglich gewesen wären – vor allem eine musikalische Komödie, bei der die Schauspielerin wieder hätte singen sollen. Das gesamte Gespräch aus dem Jahr 2010 gibt es hier nachzulesen: https://t.ly/VyfbY

Als Kinderstar startete auch Eva Mattes. Die Tochter von Schauspielerin Margit Symo und Filmkomponist Willy Mattes war in frühen Jahren die deutsche Synchronstimme von Pippi Langstrumpf sowie von Timmy aus der Fernsehserie LASSIE. Bald trat sie auf die Bühne und vor die Kamera, wo sie mit ungebrochener Produktivität spielte. Roland Klick, Helma Sanders-Brahms und Werner Herzog waren einige ihrer Kooperationspartner. Mit Letzterem hat sie auch eine gemeinsame Tochter. Für Fassbinder stand sie gleich mehrmals vor der Kamera, etwa in WILDWECHSEL (1972) und IN EINEM JAHR MIT 13 MONDEN (1978). In Radu Gabreas EIN MANN WIE E.V.A. (1984) verwandelte sie sich mithilfe von Bart und Hut sogar in RWF selbst.

Im Rahmen der Doku-Reihe LEBENSLINIEN gewährt Mattes nun Einblicke in ihr Privatleben. Unter anderem erzählt sie hier von ihrem frühen Schulabbruch, von Minderwertigkeitskomplexen und dem Druck, dem sie als alleinerziehende Mutter ausgesetzt war. Sehen kann man die Folge gerade in der Mediathek des Bayerischen Rundfunks: https://t.ly/-a0it

Am 13. Oktober vor einem Jahr starb der dänische Musiker und Komponist Jens Vilhelm Pedersen, besser bekannt als Fuzzy. Nachdem er bei Karlheinz Stockhausen und György Ligeti studiert hatte, veröffentlichte er mehrere Alben mit elektronischer Musik, Folk und Jazz. Enorm produktiv war er außerdem als Soundtrack-Komponist. Neben zahlreichen Aufträgen für dänische Produktionen komponierte er unter dem Pseudonym Jean Gepoint auch die Musik zu Fassbinders fünfteiliger Arbeiter-Serie ACHT STUNDEN SIND KEIN TAG (1972–73). Einige Clips von Fuzzys Kompositionen kann man sich auf seiner dänischsprachigen Website anhören: https://www.fuzzy.dk/audiovideo.php

Um die Musik bei Fassbinder geht es auch in einem einstündigen Radiobeitrag aus der Reihe „Kaisers Klänge“ bei hr2-kultur. Zu hören sind etwa Songs wie das von Günter Kaufmann gesungene „Young and Joyful Bandit“ aus QUERELLE (1982) und das von Rosel Zech dargebotene „Memories Are Made of This“ aus DIE SEHNSUCHT DER VERONIKA VOSS, aber auch Obskureres wie Peer Rabens Musik für das Hörspiel „Iphigenie auf Tauris“.

Darüber hinaus zeigt die Sendung, wie Fassbinders Texte und Rabens Kompositionen bis heute Spuren in der Musik hinterlassen. Eine Coverversion von „Freitag im Hotel“ (aus MUTTER KÜSTERS’ FAHRT ZUM HIMMEL) von Chansonnier Tim Fischer taucht in der Sendung ebenso auf wie Adriana Hölszkys Oper „Bremer Freiheit“ und ein Song der Band Arbeit, die Fassbinder 2010 gleich ein ganzes Album widmete. Den Beitrag kann man sich hier anhören: https://t.ly/VMuKo

Wie zeitlos Fassbinders Filme sind, davon konnte man sich beim sommerlichen Filmfestival im rumänischen Oradea überzeugen. Im August lief dort neben einer Auswahl neuerer Filme auch Fassbinders Melodram ANGST ESSEN SEELE AUF (1974), das von der aufreibenden und sozial geächteten Beziehung der Witwe Emmi mit dem deutlich jüngeren Gastarbeiter Ali erzählt. Weil es im Programm der einzige ältere Film war, freuen wir uns umso mehr, dass er in diesem Jahr den Publikumspreis gewonnen hat.

Im September feierte „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ unter der Regie von Lilja Rupprecht am Wiener Akademietheater Premiere. Bei Nachtkritik.de beobachtet Andrea Heinz, dass die Inszenierung sich neben dem Einsatz von Videotechnik und aufwendigen Kostümen auch durch ihren „leichten, teilweise fast humorvollen Zugang zum schweren, hoch psychologischen Stoff“ auszeichne. Unter anderem geschehe das durch die Live-Musik, „die böse Wortgefechte zwischen Petra und Karin schon mal mit „perlenden Klavierklängen“ unterlege. Im letzten Drittel der „fesselnd[en] und kurzweilig[en]“ Aufführung bringt Lilja Rupprecht sogar noch zwei reale Interviews mit Fassbinder ein. Zur vollständigen Rezension geht es hier: https://t.ly/4-dWc Tickets für weitere Aufführungen im Dezember und Januar gibt es unter anderem auf der Website des Burgtheaters: https://t1p.de/ijddf

Bereits im letzten Newsletter hatten wir auf Ian Penmans autobiografisch gefärbte Publikation „Fassbinder Thousands of Mirrors“ hingewiesen, in der die fortwährende Radikalität in RWFs Werk betont wird. Inspiriert von dem Buch hat der Cartoonist Nathan Gelgud einen kleinen Comic für die New York Times gezeichnet, bei dem er zu dem tröstenden Schluss kommt: „Fassbinder’s World is a Harsh One, But It’s also a Refuge for Freaks“. Den Strip kann man sich hier ansehen: https://t1p.de/4lute [Wenn man den Artikel über Google sucht, lässt sich die Paywall umgehen]

Die New Yorks Times gibt auch Filmtipps für das spannungsgeladene Genre der „Country Home Movies“, das dort folgendermaßen zusammengefasst wird: „Away from prying eyes, characters in these tales tend to revel in their idyllic surroundings as unseen, often sinister, forces work against them, resulting in an unforgettable stay.“ Neben Joseph Loseys THE GO-BETWEEN (1971) und Ingmar Bergmans SCHREIE UND FLÜSTERN (1972) findet sich dort auch Fassbinders CHINESISCHES ROULETTE (1976).

Das Wochenende, das ein Paar mit seinen Affären in einem Landhaus verbringt, eskaliert allmählich wegen eines teuflischen Spiels der gemeinsamen Tochter. Besonders hervorgehoben wird im Text die Kameraarbeit: „Michael Ballhaus’s cinematography constructs a claustrophobic ballet around the house’s mirrored interiors, tightening reflective nooses around each of its deeply guilty guests.“ Zum Artikel geht es hier: https://t1p.de/qaft7  [Auch hier lässt sich über Google die Paywall umgehen] CHINESISCHES ROULETTE gibt es auf DVD sowie bei Amazon Prime und Apple+ als VoD.

Auch in diesem Jahr haben wir wieder Abschied nehmen müssen von Freunden. Besonders schmerzhaft war der Abschied von dem wunderbaren Filmkenner und Filmkunstvermittler, Eugène Andréanszky in Paris, der nach langer Krankheit im Alter von einundsiebzig Jahren verstarb. Er war vor mehr als zwanzig Jahren vom damaligen Kulturminister Frankreichs Jack Lang zum Gründungsdirektor des Instituts „Les Enfants du Cinema“ (Die Kinder des Kinos) berufen worden und blieb bis zu seiner Pensionierung über zwanzig Jahre lang sein Direktor.

Wir trauen ebenso um den einzigartigen und von vielen deutschen und internationalen Filmemacher*innen verehrten Filmeditoren Peter Adam. Einer der Besten, großzügigsten und engagiertesten Schnittmeister dieses Landes ist am 4. Dezember von uns gegangen. Peter war nicht nur aber auch ein Freund und früherer Kollege von Juliane Lorenz Wehling, mit dem sie besonders gerne und mit großer Freude immer wieder den gegenseitigen Gedankenaustausch pflegte.

Damit verabschieden wir uns in die Winterpause und wünschen unseren Lesern und Freunden beste Gesundheit, ruhige Weihnachtsfeiertage und einen guten Rutsch. Wir melden uns im neuen Jahr wieder mit Neuigkeiten rund um Rainer Werner Fassbinder.

Mehr zu den Filmen von Rainer Werner Fassbinder:
http://www.fassbinderfoundation.de/filme-von-fassbinder/

Mehr zu den Theaterstücken von Rainer Werner Fassbinder:
http://www.fassbinderfoundation.de/theaterstucke/

Foto links: THE SWEET EAST © Marathon Street

Foto rechts: Eva Mattes mit Regisseurin Birgit Eckelt LEBENSLINIEN © BR/Martina Bogdahn

 

 

 

 

 

 

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