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Newsletter April 2023

Im Februar fand eine weitere Veranstaltung des Vermittlungsprogramms „Encounter RWF“ statt.Das Deutsche Filminstitut & Filmmuseum (DFF) in Frankfurt am Main bringt hier mit unterschiedlichen Angeboten junge Menschen mit Werk und Nachlass Fassbinders in Berührung. Während in Paris zuletzt Schüler eigene Filmessays montierten, ließ sich eine Frankfurter Jugendgruppe zu Ton- und Musikkompositionen inspirieren.

 

Als Nächstes steht ein Universitätsseminar in Zürich an, bei dem die Teilnehmer eine Reihe mit RWF-Werken im Kino Filmpodium präsentieren werden. Mehr Informationen zu „Encounter RWF“ und den bisherigen Projekten gibt es auf der Website des DFF: https://www.dff.film/encounter-rwf https://www.dff.film/en/education/projects/encounter-rwf/

 

Ebenfalls im Februar fand die 73. Berlinale statt, bei der Steven Spielberg der diesjährige Ehrenbär verliehen wurde. In seiner Dankesrede bekundete er, dass er auch dem deutschen Kino einiges verdanke, und erwähnte namentlich neben Ernst Lubitsch und Werner Herzog auch Fassbinder.

 

Die Wege der beiden auf den ersten Blick sehr unterschiedlichen Regisseure trafen sich zumindest indirekt schon einmal in Wim Wenders’ Dokumentarfilm CHAMBRE 666 (1982). Wenders befragt darin beim Filmfestival von Cannes mehrere Regisseure nach der Zukunft des Kinos. Anders als Spielberg, der sich als einer der letzten Optimisten Hollywoods bezeichnete und von Filmen träumte, die jedem gefielen, warnte Fassbinder vor einem Verlust an Individualität und einem Kino, das sich irgendwann nicht mehr vom Fernsehen unterscheiden ließe.

 

Auf der Berlinale lief auch der neue Film des US-amerikanischen Filmemachers Ira Sachs. PASSAGES erzählt von einem deutschen Regisseur (Franz Rogowski), der eigentlich mit einem Grafiker (Ben Whishaw) verheiratet ist, dann aber einen One-Night-Stand mit einer Lehrerin (Adèle Exarchopoulos) hat. Die unvorhergesehenen Nachwehen werfen die Fragen auf, inwiefern man jemanden besitzen kann und wie schmerzhaft die eigene Freiheit für andere sein darf. Besonders in US-Kritiken des Films fiel öfters der Name Fassbinder, und nicht nur das Motiv der emotionalen Ausbeutung teilt Sachs mit dem deutschen Filmemacher, er ist auch ein erklärter Bewunderer RWFs.

 

Anlässlich einer RWF-Retrospektive im New Yorker Museum of Modern Art (MoMA) schreibt Sachs in einem Essay: „I cannot name one favorite Fassbinder film, because I like different ones in different moods. The three that I think about most often are ALI: FEAR EATS THE SOUL, THE BITTER TEARS OF PETRA VON KANT, and VERONIKA VOSS. Each of these films combines a ripe sadness with a simple beauty that leaves me in a perfect state of melancholy. They are also the three that have moved me the most directly without any need to be an intellectual about it.“ Den gesamten Text gibt es hier zu lesen: https://filmmakermagazine.com/86198-fassbinder-and-his-friends-ira-sachs/#.ZBw-TNeZOUk

 

Ein Jahr nach dem Tod des deutschen Theaterintendanten, Kritikers und Publizisten Günther Rühle erschien vor einigen Monaten der dritte Band seiner großen Theatergeschichte: „Theater in Deutschland 1967–1995: Seine Ereignisse – seine Menschen“. Über 800 Seiten widmet sich der Autor darin einer „Zeit der Skandale und Debatten, der Experimente und Neuanfänge“.

 

Auch die Kontroverse um Fassbinders Theaterstück „Der Müll, die Stadt und der Tod“ kommt in dem Buch vor. Rühle selbst war 1985 Intendant am Frankfurter Schauspiel, als durch eine Besetzung von Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde die Premiere des angeblich antisemitischen Stücks verhindert wurde. Zwar gab es eine Aufführung für Kritiker und Theatermitarbeiter, doch wegen der Proteste wurde die Inszenierung von Dietrich Hilsdorf letztlich abgesetzt. Auch weitere Kapitel beschäftigen sich mit RWF, etwa mit seinen Anfängen in München. Mehr Infos über das im S. Fischer Verlag erschienene Buch gibt es hier: https://www.fischerverlage.de/buch/guenther-ruehle-theater-in-deutschland-1967-1995-9783103971613

 

Am 31. März erscheint Volker Vogelers Film JAIDER – DER EINSAME JÄGER (1971) beim Label Filmjuwelen zum ersten Mal auf DVD und Blu-ray. Die Geschichte um einen Wilderer im 19. Jahrhundert, der sich mit der Obrigkeit anlegt, basiert lose auf dem bayerischen Volkshelden Georg Jennerwein. Der 2005 verstorbene Vogeler, der wie Fassbinder Gründungsmitglied des Verlags der Autoren war, inszenierte den Stoff stilistisch eigenwillig und vermengte Elemente des Italowesterns mit der Genreskepsis des Neuen Deutschen Films. Für Gottfried John, der später etwa in RWFs ACHT STUNDEN SIND KEIN TAG (1972–73) und BERLIN ALEXANDERPLATZ (1980) vor der Kamera stand, war es die erste Hauptrolle. Einen Trailer der restaurierten Fassung gibt es hier: https://www.youtube.com/watch?v=i4YLyozGnQs

 

Ein Mediatheken-Tipp: Auf der Website von Arte ist gerade eine Dokumentation über Douglas Sirk zu sehen. Der als Detlef Sierck geborene Regisseur floh mit seiner jüdischen Frau Hilde aus Nazideutschland und machte in Hollywood Karriere. Fassbinder war großer Fan seiner Melodramen und drehte mit ANGST ESSEN SEELE AUF (1974) ein freies Remake von ALL THAT HEAVEN ALLOWS (1955).

 

In DOUGLAS SIRK – MEISTER DES MELODRAMS ist auch Hanna Schygulla zu hören, die unveröffentlichte Tagebuchaufzeichnungen von Hilde Sirk liest. Den Film kann man sich hier ansehen: https://www.arte.tv/de/videos/081551-000-A/douglas-sirk-meister-des-melodrams/ https://www.arte.tv/fr/videos/081551-000-A/douglas-sirk-le-cineaste-du-melodrame/

 

Zum Abschluss noch eine traurige Nachricht: Am 15. März verstarb die Theologin, Politikerin und Autorin Antje Vollmer im Alter von 79 Jahren. In einer Traueranzeige der Frankfurter Allgemeinen Zeitung heißt es: „Trotz langer, schwerer Krankheit suchte sie als Pazifistin bis zuletzt in großer Klarheit Wege, die neu eskalierende Blockkonfrontationen zu überwinden, die die Welt in ihrer Existenz gefährdet. […] Der Logik der Waffen hat sie nie getraut. Sie vertraute auf die Friedensfähigkeit der Menschen.“ Im Buch „Hinter den Bildern die Welt: Die untergegangene Bundesrepublik in den Filmen von Rainer Werner Fassbinder“ veröffentlichte sie 2015 ihren Briefwechsel mit dem Liedermacher Hans-Eckhardt Wenzel.

 

Wir wünschen unseren Lesern und Freunden einen sonnigen Frühlingsanfang und schöne Ostern und melden uns bald wieder mit Neuigkeiten rund um Rainer Werner Fassbinder.

 

Mehr zu den Filmen von Rainer Werner Fassbinder:
http://www.fassbinderfoundation.de/filme-von-fassbinder/

Mehr zu den Theaterstücken von Rainer Werner Fassbinder:
http://www.fassbinderfoundation.de/theaterstucke/

 

Foto links: Adèle Exarchopoulos und Franz Rogowski in PASSAGES von Ira Sachs © SBS Distribution

Foto rechts: Cover des Buchs „Theater in Deutschland 1967-1995: Seine Ereignisse – seine Menschen“ von Günther Rühle ©  S. Fischer Verlag

 

 

 

 

 

 

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